EFTA-Überwachungsbehörde: Island verletzt EU-Tierschutzstandards
EFTA-Behörde setzt Antwortfrist und erwägt Rechtsverfahren
Zürich, Freiburg, 11.5.2023. Die EFTA-Überwachungsbehörde (ESA) fordert in einem Mahnschreiben die isländische Regierung auf, die für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geltenden Tierschutzbestimmungen einzuhalten. Auslöser der Kritik sind die Antworten der isländischen Regierung auf ein ESA-Schreiben vom April 2022. Aktiv wurde die ESA aufgrund einer Beschwerde von Tierschutzbund Zürich (TSB) und Animal Welfare Foundation (AWF). Anlass waren neue Recherchen über sogenannte Blutfarmen in Island und die massiven Blutentnahmen bei trächtigen Stuten für die Gewinnung des Fruchtbarkeitshormons PMSG. „Die ESA folgt unserer Beschwerde (siehe: weitere Infos), die sich auf offensichtliche Verstösse gegen geltendes EWR-Recht bezieht. Die Genehmigungen der Blutentnahmen durch die Veterinärbehörde MAST sind rechtswidrig“, so Sabrina Gurtner, Projektleiterin Pferde beim TSB und der AWF.
Das PMSG-Hormon wird zur Steigerung und Steuerung der Fruchtbarkeit bei Nutztieren eingesetzt. Um es zu gewinnen, wird trächtigen Stuten fünf Liter Blut pro Woche über zwei Monate abgenommen. Diese Menge entspricht rund 15-20 % ihres Blutvolumens. „Hierzu werden die halbwilden Pferde zusammengetrieben, mit Gewalt in Blutentnahmeboxen fixiert und ihr Kopf unnatürlich nach oben gebunden, damit das Blut schneller in die Kanister fliesst“, beschreibt Sabrina Gurtner den Prozess.
In einer gemeinsamen Beschwerde mit Eurogroup for Animals und 14 weiteren internationalen Tierschutzorganisationen haben TSB und AWF im März 2022 die EFTA-Überwachungsbehörde ESA über die PMSG-Gewinnung in Island informiert. Kern der Kritik ist, dass die im EWR-Raum geltende EU-Richtlinie 2010/63 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere nicht eingehalten wird. Rechtlich gesehen werden Blutentnahmen zur Herstellung von Arzneimitteln als Tierversuche eingestuft.
„Die EU-Richtlinie gibt klar vor, dass Tiere nur dort für wissenschaftliche Zwecke und die Produktion von Arzneimitteln eingesetzt werden dürfen, wo es keine Alternativen gibt“, erklärt Sabrina Gurtner. „Die Blutfarmen haben keine Berechtigung mehr, denn es gibt Alternativen für den Einsatz von PMSG durch hormonfreie Methoden oder synthetische Präparate.“ Als Mitglied der EFTA (Europäischen Freihandelsassoziation) muss Island die Vorschriften des EWR befolgen. Deshalb wurde die Überwachungsbehörde ESA aktiv und hat im April 2022 die isländische Regierung um eine Stellungnahme gebeten. Kurz darauf erliess die isländische Regierung eine neue Verordnung. „Diese Verordnung legalisiert lediglich die bisherige Praxis, für die betroffenen Stuten hat sich nichts verändert“, kritisiert Sabrina Gurtner das Verhalten der isländischen Regierung. „Die entnommene Blutmenge wurde nicht reduziert, weiterhin werden halbwilde Pferde eingesetzt und dieselben heruntergekommenen Blutentnahmeboxen verwendet.“
Das sieht die ESA ähnlich und kritisiert, dass die neue Verordnung die EU-Vorgaben zum Schutz der Tiere nicht umsetzt. Die EU-Richtlinie 2010/63 gibt vor, dass der Einsatz von Tieren für wissenschaftliche Zwecke reduziert werden muss mit dem Ziel, dass letztendlich keine Tiere mehr eingesetzt werden. ESA kritisiert weiter, dass kein Mitgliedsland des EWR ein derartiges Projekt genehmigen darf, bevor eine umfassende Projektbeurteilung statt-gefunden hat, um den Einsatz und das Leiden der Tiere auf ein Mindestmass zu reduzieren und wo immer möglich zu vermeiden. Weiter kriti-siert die Behörde, dass in der isländische Verordnung Globalgenehmigungen gestattet sind. Die ESA fordert jedoch, dass jeder Teilnehmer am Prozess, wie z. B. die Züchter, jeweils die Bedingungen der EU-Richtlinie 2010/63 erfüllt.
Die isländische Regierung hat nun zwei Monate Zeit, auf die Kritik der ESA zu reagieren. Die ESA behält sich ausdrücklich vor, bei nicht zufriedenstellender Antwort auch rechtliche Schritte gegen Island einzuleiten.
„Grösser könnte der Imageschaden für Island nicht sein. Die Verordnung vom letzten Sommer zeigt, dass die isländische Regierung den Interessen der Blutgeschäftbetreiber folgt und dafür sogar bereit ist, geltendes EWR-Recht zu ignorieren. Das ESA-Mahnschreiben ist ein Schlag ins Gesicht. Ob Island mit einem blauen Auge davonkommt, hängt jetzt ab von der Reaktion auf die Kritik der EFTA-Behörde“, zeigt sich Sabrina Gurtner skeptisch.