Experten für einen Verzicht auf das Fruchtbarkeitshormon PMSG
Neue Filmaufnahmen aus isländischen Blutfarmen
Experten für einen Verzicht auf das Fruchtbarkeitshormon PMSG
AWF und TSB kritisieren Gewinnung und Einsatz von PMSG
Zürich, Freiburg i.Br. / 21.02.2024. In einem neuen Dokumentarfilm der Animal Welfare Foundation (AWF) und des Tierschutzbund Zürich (TSB) werden Aufnahmen vom August 2023 gezeigt, die in isländischen Blutfarmen verdeckt gefilmt wurden. Das dort gewonnene PMSG kommt in deutschen Ferkelzuchtbetrieben zum Einsatz. Expert*innen aus Zucht, Rechtsprechung, Tiermedizin und landwirtschaftlicher Beratung in Deutschland und der Schweiz nehmen Stellung zum Einsatz des Fruchtbarkeitshormons. Konsens herrscht darüber, dass eine moderne Ferkelproduktion auf PMSG verzichten kann. Frederik Löwenstein, Dozent an der Landesanstalt für Schweinezucht Boxberg (LSZ), Deutschland, hebt zwar die Bedeutung hervor, die gleichmäßige Ferkelpartien für die Zuchtbetriebe haben, dafür sei aber „ein hormoneller Einsatz nicht zwingend notwendig.“ Die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin ist der Meinung, „dass dem Arzneimitel die Zulassung entzogen gehört.“ Für Amtsrichter a. D. Christoph Maisack ist PMSG rein formal kein Arzneimitel. „Arzneimitel kann nur sein, was Krankheiten heilt oder Krankheiten verhütet. PMSG tut weder das eine noch das andere, im Gegenteil, PMSG erhöht nur die Produktivität der Sauen.“ Der Schweizer Tierarzt Stefan Birrer bringt den Nutzen von PMSG so auf den Punkt: „PMSG ist die einfachste Möglichkeit, den Zyklus zu starten oder aufrecht zu erhalten.“ Mit PMSG kommen selbst ausgelaugte Sauen in die Rausche und bleiben damit produktiv.
Im Dokumentarfilm kommen mehrere Züchter*innen aus Deutschland und der Schweiz zu Wort, die Erfahrung mit PMSG haben, inzwischen aber auf dessen Einsatz verzichten. „Tiermanagement, Tierhaltung und Tierbeobachtung sind die Schlüsselbegriffe, die die Züchter*innen und Berater*innen in den Gesprächen nennen. Wenn das funktioniere und beherrscht würde, seien PMSG-freie Zuchtbetriebe wirtschaftlich erfolgreich“, so Sabrina Gurtner, Leiterin des AWF & TSB Projektes. Professor Thomas Blaha von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) findet den Einsatz von PMSG nicht mehr zeitgemäss. „Was damals als sinnvoll betrachtet wurde, auch von der Wissenschaft, ist nach heutigem Wissen und heutigem Stand des Mensch-Tier-Verhältnisses überhaupt nicht mehr vertretbar.“ „PMSG übertüncht Managementfehler“, bestätigt Madeleine Martin. „PMSG und die hochgezüchteten Schweinerassen schaukeln sich hinsichtlich der Wurfgröße gegenseitig nach oben“, kritisiert sie weiter.
Große Würfe verursachen die bekannten Probleme mit Totgeburten und lebensschwachen Ferkeln. Eine Sau kann aus biologischen Gründen nur eine begrenzte Anzahl lebensfähiger Ferkel gebären und versorgen. 20 und mehr Ferkel pro Wurf führen automatisch zu einer höheren Ferkelsterblichkeit.
Auch die Gewinnung von PMSG aus dem Blut trächtiger Stuten ist tierquälerisch. So werden im Dokumentarfilm Bilder gezeigt, die im August 2023 in zwei Blutfarmen gefilmt wurden. Sie werden den Aufnahmen von 2021 gegenübergestellt, die in Island zu einer öffentlichen Debate geführt haben. „Die neuen Aufnahmen zeigen, dass sogar in einer Blutfarm mit Stuten, die den Umgang mit Menschen gewöhnt sind, Gewalt und Zwangsmaßnahmen angewendet werden müssen, um das Blut abzuzapfen. Und darüber hinaus, dass die Tierquälerei nicht nur die Blutentnahme selbst betriffl, sondern auch die Blutprobennahmen für Laboruntersuchungen,“ berichtet Sabrina Gurtner nach Auswertung der Videos. „Die Blutstuten werden getreten, geschlagen und in verletzungsgefährdenden Boxen so fixiert, dass es jederzeit zu schweren Unfällen kommen kann.“
Meinrad Pfister, Schweinezüchter und Vertreter des Schweizer Zuchtverbandes Suisseporcs, begründet den freiwilligen Verzicht auf PMSG in der Schweiz: „(…) als wir nachher gesehen haben, was Ihre Recherchen (AWF|TSB-Recherchen) gezeigt haben, dass jetzt die Blutfarmen in Island sind, haben wir (…) es dann auch fürs Konventionelle verboten.“ Nach acht Jahren Verzicht zieht er eine positive Bilanz: „Die praktischen Erfahrungen mit dem Verzicht auf PMSG sind durchweg gut, was ich gehört habe (…) von der Tierärzteschaft.“
Auf Grund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EFTA gilt die Blutentnahme zur Gewinnung des Fruchtbarkeitshormons PMSG seit November 2023 in Island als Tierversuch. Als Mitglied der EFTA (Europäische Freihandelsassoziation) muss Island die Vorschriften des EWR befolgen. Die einhellige Meinung der im Film zu Wort kommenden Experten ist, dass es PMSG nicht braucht für die von Züchtern gewünschte Synchronisation und Rausche-Auslösung bei Sauen. Die Genehmigung als Tierversuch für die Gewinnung von PMSG sei heute nicht mehr rechtens, da „PMSG nicht unerlässlich sei“, bestätigen Dr. Christoph Maisack und Prof. Thomas Blaha übereinstimmend.
Die EU-Tierversuchsrichtlinie schreibt vor, dass Tiere nur dort für wissenschaftliche Zwecke und die Produktion von Arzneimiteln eingesetzt werden dürfen, wo es keine Alternativen gibt. „Die Blutfarmen haben keine Berechtigung mehr, denn es gibt Alternativen für den Einsatz von PMSG durch hormonfreie Methoden oder synthetische Präparate,“ fordert Sabrina Gurtner.
Das Europäische Parlament forderte bereits im Oktober 2021 in einer Resolution die EU-Kommission auf, einen Importstopp zu verhängen und für ein Gewinnungsverbot in den Mitgliedsstaaten zu sorgen.
Der TSB begrüsst das freiwillige Verbot der Schweizer Schweine- und Nutztierbranche. Gleichzeitig fordert er das Bundesamt für Lebensmitelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) als Vollzugsbehörde auf, ein gesetzliches PMSG-Verbot zu erlassen und damit Rechtssicherheit und gleiche Rahmenbedingungen für alle Züchter zu schaffen.
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