Internationale Tierschutzorganisationen fordern Produktions- und Importstopp für Pferdefleisch aus Qualproduktion
Zürich, 25.6.2023. Neueste Recherchen von Tierschutzbund Zürich (TSB Zürich) und Animal Welfare Foundation (AWF) berichten von einer kontinuierlichen Verlagerung der Pferdefleischproduktion für die EU und Schweiz von Nord- nach Südamerika. Gemeinsam mit einer Koalition internationaler Tierschutzorganisationen fordern sie seit Jahren einen Import- und Produktionsstopp für Pferdefleisch aus Qualproduktion. In Australien hat kürzlich der einzige EU-zugelassene Pferdeschlachthof Meramist die Schlachtung von Pferden eingestellt, gegen Mexiko verhängte die EU 2015 ein Importverbot. In den USA wurden die Pferdeschlachthöfe bereits 2008 geschlossen. Seither werden US-Pferde zum Schlachten nach Kanada und Mexiko exportiert. In Kanada sind die Schlachtzahlen von 54'000 im Jahr 2016 auf ca. 12'000 Pferde im Jahr 2022 kontinuierlich zurückgegangen. Lediglich Argentinien und Uruguay verzeichnen Zuwächse.
Die Verschiebung der Pferdefleischproduktion nach Südamerika hat nach Auffassung des TSB Zürich auch mit geringeren Produktionskosten zu tun. Seit Jahren kritisiert der TSB Zürich die qualvollen Bedingungen, unter denen die Pferdefleischproduktion in Nord- und Südamerika stattfindet. Die Bedingungen in den Produktionsländern sind unterschiedlich.
Pferdefleisch aus Kanada
Die Firma Bouvry Exports im kanadischen Alberta ist der grösste nordamerikanische Pferdeschlachtbetrieb. Die in Kanada geschlachteten Pferde stammen zu 50 % aus den USA. Die EU-Auflagen für den Fleischexport verlangen, dass US-Pferde vor dem Schlachttag sechs Monate in Pferchen des Schlachthofes gehalten werden. Damit soll das Risiko für Medikamentenrückstände minimiert werden. „Das verursacht ein langes Leiden. Die Pferde werden in diesen Monaten krank gemästet“, berichtet Sabrina Gurtner, Projektleitung beim TSB Zürich. Das Futter dient lediglich der Gewichtszunahme. Folge sind schmerzhafte Huf- und Stoffwechselerkrankungen. Kranke Pferde werden nicht medizinisch behandelt. Ihnen müsste u. a. das entzündungshemmende Schmerzmittel Phenylbutazon verabreicht werden. Dieses Medikament ist jedoch verboten, wenn das Tier für den menschlichen Verzehr geschlachtet wird. Das bestätigt auch der Feedlot Manager gegenüber der kanadischen Aufsichtsbehörde CFIA: „(…) für Pferde, die zur Schlachtung bestimmt sind, ist Phenylbutazon keine Option. (…) ihr Zustand verschlechtert sich mit zunehmendem Gewicht, aber aufgrund des EU-Programms können wir sie nicht behandeln.“
„Bei unseren Recherchen vor Ort dokumentieren wir immer wieder Pferde mit Lahmheiten, Hufrehe oder solche, die an ihren Krankheiten oder Verletzungen gestorben sind“, so Sabrina Gurtner. In den Mastpferchen von Bouvry Exports sind Stuten und Hengste gemischt. Zudem werden auch trächtige Tiere angeliefert. „Die Überlebenschancen sind gering für die Fohlen in den auf Mast ausgelegten Pferchen. Wir finden im Sommer kranke und im Winter bei der Geburt erfrorene Fohlen“, schildert Sabrina Gurtner ihre Beobachtungen.
„Wir importieren das Pferdefleisch direkt aus Kanada. Wir beziehen es hauptsächlich von der Bouvry-Farm in Alberta, die zweifellos die artgerechteste und respektvollste Pferdezucht der Welt ist. Die Pferde leben dort in Halbfreiheit“, so beschreibt der Schweizer Importeur Skin Packing S.A. die Pferdehaltung bei Bouvry Exports. „Das entspricht nicht unseren Beobachtungen, die wir seit über einem Jahrzehnt vor Ort machen“, kritisiert Sabrina Gurtner. Respektvolle Züchter würden Fohlen bei der Geburt nicht erfrieren lassen und in solchen Mastpferchen aufziehen. Professorin Stephanie Krämer von der Justus-Liebig-Universität in Giessen hält die Pferdehaltung für hochgradig tierschutzwidrig: „Die Tiere werden hier weder artgerecht gefüttert, noch ist ihre Pflege gewährleistet. Auch die fehlende medikamentöse Behandlung der Pferde erfolgt vorsätzlich, um den Export des Fleisches nicht zu gefährden. Der Schmerz der Tiere wird wissentlich in Kauf genommen.“
Pferdefleisch aus Uruguay
TSB Zürich und AWF kontrollieren seit vielen Jahren die Stationen, die Pferde durchlaufen, bevor sie in EU-zertifizierten Schlachthöfen für die EU- und Schweizer Kunden geschlachtet werden. Seit Jahren dokumentieren sie die Verstösse. In einer aktuellen Langzeitrecherche über zwei Jahre im Zusammenhang einer von der EU angekündigten Kontrolle, wurden die drei EU-zertifizierten Schlachthöfe Clay, Sarel und El Amanecer vor, während und nach der EU-Kontrolle verdeckt und offen beobachtet. „Unsere Recherchen belegen, dass die EU-Audits manipuliert werden durch umfangreiche Vorbereitungen“, berichtet Sabrina Gurtner. Besonders auffällig ist, dass während der Kontrollen nur ein Bruchteil der Pferde auf den Schlachthofweiden stehen. „Es sind ausgewählte Pferde in einem guten Allgemeinzustand. Sie werden auf grüne Weiden gestellt, wo es Witterungsschutz gibt. Das entspricht jedoch nicht der Realität vor und nach den Kontrollbesuchen. Sind die Kontrolleure abgereist, stehen die Pferde wieder auf staubigen und dreckigen Flächen, oft ohne Raufutter und manchmal sogar ohne Wasser. Dann sind es statt 40 bis 60 gesunder Pferde mehrere Hundert. Darunter trächtige Stuten, schwer verletzte und stark abgemagerte Tiere“, weiss Sabrina Gurtner von einer Kontrolle 14 Tage nach dem EU-Audit zu berichten. „Auffällig ist auch das Verhalten der Arbeiter. Sobald sie sich unbeobachtet fühlen, werden Treibfahnen zu Schlagstöcken, werden Pferde systematisch geprügelt“, beschreibt Sabrina Gurtner ihre Beobachtungen.
Problem: Rückverfolgbarkeit und Verbraucherschutz
Der TSB Zürich und seine Partnerorganisationen kritisieren generell bei der Pferdefleischproduktion in Übersee die ungenügende Rückverfolgbarkeit der Pferde. So gibt es kein mit Europa vergleichbares Identifikationssystem für Pferde. Mehrere Besitzerwechsel sind üblich und viele Pferde werden über Auktionen gehandelt. Lediglich der letzte Besitzer, in der Regel der Schlachthändler, gibt Auskunft über Medikamentengabe und Herkunft der von ihm an den Schlachthof verkauften Pferde. „Man verlässt sich auf die Ehrlichkeit der Profiteure. Das ist ein Einfallstor für systematischen Betrug und führt zur systematischen Gefährdung der Konsumenten in der EU und Schweiz“, kritisiert Sabrina Gurtner.
„Aus Uruguay und Argentinien bekommen wir regelmässig Nachrichten über gestohlene und geschmuggelte Pferde. Die Polizei hat mehrere Sondereinheiten zusammengestellt, um mafiös organisierten Banden zu überführen“, so Sabrina Gurtner. Zuletzt wurde im Dezember 2022 in Uruguay eine kriminelle Bande zerschlagen, die sich dem Schmuggel gestohlener Pferde aus Brasilien verschrieben hatte. Zur Bande gehörten ein ehemaliger Polizist und der Leiter des Zollamtes in Rivera.
Die Schlachtzahlen in Uruguay steigen seit einigen Jahren kontinuierlich. 2022 waren es 52‘000 Pferde. Der Schweizer Importeur Skin Packing verspricht seit Jahren, sich für Verbesserungen in seinen Bezugsschlachthöfen einzusetzen. „Wir stellen bei unseren Kontrollen keine nachhaltigen Verbesserungen im Tierschutz fest“, so Sabrina Gurtner. Der TSB Zürich und seine Partnerorganisationen kritisieren seit Jahren die massiven Tierschutzverstösse in Uruguay und Argentinien. Vergangene EU-Audits bestätigten Missstände und Manipulationen der Kontrollen durch die Schlachthofbetreiber in beiden Ländern.
„Aufgrund der seit 2012 nicht gelösten tierschutzwidrigen Bedingungen in den Übersee-Schlachthöfen muss die Europäische Kommission endlich aktiv werden und den Import von Pferdefleisch aus Qualproduktion stoppen“, fordern der TSB Zürich und seine Partnerorganisationen.