Pferde Woche: Kein Ende? Pferdefleisch aus Qualproduktion
"ln Argentinien gelten Pferde als Haustiere. Der Verzehr von Pferdefleisch ist gesetzlich verbo ten. Dennoch werden Hunderttausende Pferde in Schlachthöfen getötet. Förden Pferdefleischexport. Es ist ein Geschäft grenzenloser Grausamkeit, betrieben von einigen wenigen, unter den Augen des Staates, der es geschehen lässt.
Eine trächtige Stute auf dem Schlachthof Lamar. Sabrina Gurtner Seit 2013 ist der Tierschutzbund Zürich in Argentinien an den Orten, an denen für die Europäische Union (EU) und die Schweiz Pferdefleisch produziert wird. Es wird für uns immer gefährlicher, in Argentinien zu recherchieren. «Hinter diesem lukrativen Geschäft gibt es eine Mafia, die mit den Pferdedieben beginnt, mit den Händlern weitergeht und in den Schlachthöfen endet, die bei der Annahme von gestohlenen Tieren wegschauen», schreibt die argentinische Zeitung «Al Sur» im April 2020. Die Pferdehändler und Schlachthofbetreiber kennen unsere Berichte und Filme.
Statt die Tierquälerei zu beenden, investieren sie in Sichtschutz. Treibgänge verschwinden hinter Planen, Pferche hinter Mauern. Auffällig ist, dass die Quälerei auch vor den Auditoren (unabhängige Prüfer) der EU und der Importeure versteckt wird. Die Sammelstellen der Pferdehändler Damit der Nachschub in den Schlachthöfen nicht ins Stocken gerät, unterhalten die Pferdehändler «Acopios». Von diesen Sammelstellen gibt es Hunderte in Argentinien.
Sie liegen häufig versteckt. Auditoren kommen dort nicht hin. Im Februar 2020 fahren wir zu mehreren dieser versteckten Sammelstellen. Kurz darauf ist ein EU-Auditteam in Argentinien. Wir geben ihnen den Hinweis, die argentinische Gesundheitsbehörde «Senasa» zu bitten, eine bestimmte Sammelstelle bis zum Audit imverändert zu belassen.
Das heisst, dass alle Pferde, die jetzt dort sind, auch noch dort sein sollen, wenn das Auditteam kommt. Was die Auditoren vorfinden, protokollieren sie im EU-Auditbericht: «... die Tiere in der Sammelstelle waren kürzlich erst angeliefert worden und diejenigen, die zuvor dort waren, waren weggebracht worden.
» Diese Art der Manipulation hat System. Ein Nachteil angekündigter Audits. Wir sind meist verdeckt unterwegs. Aus Sicherheitsgründen und um die Wirklichkeit in den Sammelstellen und Schlachthöfen zu sehen. Es ist der sechste Februar 2020.
Wir fahren zur Sammelstelle in Santiago Temple. Sie ist riesig und weitläufig. Es hat kurz zuvor gestürmt. Umgeknickte Bäume und abgerissene Äste liegen auf der Strasse. Die Pferche und Futterplätze pnd matschig.
Das wenige Futter liegt im Dreck. Markenzeichen der Sammelstelle ist ein monströser Kadaverhaufen mit hunderten toten Pferden in allen Verwesungsstadien. Direkt neben einem Heuballen hegt ein weiterer Kadaver. Schon länger, Rippen ragen hervor. Dahinter ein Pferd auf drei Beinen.
Sein rechtes Hinterbein ist am Fesselgelenk nach hinten geknickt. Nicht weit entfernt davon ein Fuchs mit einer offenen Wunde am Hinterbein. Wir sind versteckt in einem Gebüsch und können nur sehen, was Fernglas und Kameralinse hergeben. Wir bleiben länger und protokollieren so viel wie möglich für eine spätere Anzeige gegen diese Sammelstelle. Die Polizei können wir nicht rufen.
Die Gefahr für uns wäre zu gross. In einem Zeitungsartikel lesen wir später zu diesen Bildern: «An manchen Orten habe ich durchaus Haufen von Tierkadavem gesehen ... In Belgien haben wir dafür die Tierkörperverwertung, aber in Argentinien gibt es so etwas nicht.
Dort betreibt man ein natürliches Recycling - das mag auf einige sehr verstörend wirken. Die toten Tiere bleiben auf einer Weide liegen und Insekten oder Geier erledigen den Rest.» Das sagt Professor Bert Driessen der Universität Leuven (BEL9, veröffentlicht in «Het Belang van Limburg», 2020). Er ist Auditor der europäischen Importeure, die mit der Marketingplattform www.respectfullife.
com versuchen, das Image des Importpferdefleisches aufzubessern. Was wir vor Ort sehen, ist das, was dem Tod und der späteren Entsorgung auf dem Kadaverhaufen vorausgeht. Nur 100 Meter entfernt finden wir zwei Pferde. Ein kleiner Falbe, bis auf die Knochen abgemagert, und ein Brauner mit schwerer Hufverletzung. Ein Teil des Hufes ist weggefault, die Wunde voller Fliegen und Maden.
Das Pferd leckt die Wunde. Es ist eine Frage der Zeit, bis diese beiden als Kadaver auf dem Haufen landen oder auf einem Transporter zum Schlachthof. Die Schlachthöfe Es gibt vier EU-zertifizierte Schlachthöfe in Argentinien, die grössten sind Lamar, Land L und Infriba. Alle drei werden von uns regelmässig aufgesucht. Beim Schlachthof Lamar sind wir kurz vor einem Audit der europäischen Importeure.
Auch die Schlachthöfe bereiten sich auf die Audits vor. Die Aussenpferche sind leer, die neu gebaute Halle leicht gefüllt. Die Pferde sehen gut aus. Nach dem Audit fahren wir nochmals hin. Jetzt sind die Aussenpferche voll.
Die Pferde stehen in der prallen Sonne, regnet es, tief im Matsch. Das Futter liegt im Dreck, obwohl ein argentinisches Gesetz Raufen vorschreibt. Wir finden verletzte, lahmende, abgemagerte und trächtige Pferde. Auch im Treibgang zum Schlachthof sehen wir trotz Sichtschutzplane wie ihnen mit hartem Wasserstrahl ins Gesicht gespritzt wird und brüllende Arbeiter sie in Panik versetzen. Schockiert werden wir im Schlachthof Land L.
Dort beobachten wir nachts die Anlieferung von Pferden. Es sind Rindertransporter ohne Rampe. Auf zwei Transportern hegen Pferde. Sie können nicht aufstehen. Mit Ketten werden sie von der Ladefläche gezogen.
Sie fallen einen Meter tief auf den Boden und bleiben liegen. Wir schleichen uns an, nachdem die Arbeiter weg sind. Beide Pferde sind schwer verletzt, sie bluten, haben offene Wunden. Sie bleiben die ganze Nacht liegen. Eines ist am nächsten Morgen tot.
Das andere wird in den Schlachtraum gebracht. So lange das Herz schlägt, wird geschlachtet. Die toten Pferde landen hinter dem Schlachthof in einer Grube. Wir sehen uns dort um und finden noch eine Grube. Ein Fohlenbein ragt heraus.
Wir gehen der Sache nach. Der Schlachthof Land L schlachtet trächtige Stuten. Kommen die Fohlen vor der Schlachtung auf die Welt, werden deren Mütter trotzdem geschlachtet. Ein Todesurteil auch für die Fohlen. Kein Futter, kein Witterungsschutz und - nicht im Bild - gleich dahinter ein grosser offener Kadaverhaufen.
Fotos: Tierschutzbund Zürich Matschige Pferche auf der Sammetstelle Santiago Temple. Zur Person Autorin Sabrina Gurtner ist Projektleiterin beim Tierschutzbund Zürich. Die 39jährige Pädagogin hat vor Ort - sowohl in Südamerika wie auch in Australien - verdeckt recherchiert. Wir haben sie gebeten, persönlich zu schildern, was sie in Argentinien erlebt hat. Fotos Wir verzichten aus Pietätsgründen bewusst darauf, die verstörendsten Bilder von verletzten und toten Pferden, die unszurVerfügungstehen, zu publizieren."
(Quelle: Pferde Woche, 2. Dezember 2020)