02. Dezember 2020

Pferde Woche: Noch immer Qualfleisch auf Schweizer Tellern

"Seit über acht Jahren berichtet der Tierschutzbund Zürich über die Qualproduktion von Pferdefleisch. Fleisch, das nach wie vor auf den Tellern der Schweizer Konsumenten landet. Einen ersten Erfolg konnten die Tierschützer erreichen, indem der Import aus Mexiko und Brasilien in die EU verboten wurde. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein, wie aktuelle Recherchen zeigen. Wir haben uns mit York Ditfurth, dem Präsidenten des Tierschutzbundes Zürich (TSB), überden Stand der Dinge unterhalten.

Sascha P. Dubach Die «PferdeWoche» hat erstmals 2013 über Ihre Recherchen berichtet. Was waren damals die Hauptkritikpunkte? Wir zeigten ab diesem Zeitpunkt aut dass Pferdefleisch aus verschiedenen Ländern aus tierverachtender Qualproduktion stammt. Ein unmittelbarer Erfolg war, dass die Grossverteiler wie Migros, Coop usw. vom Import ausgestiegen sind.

Aber eine Veränderung der Situation vor Ort konnten wir noch nicht herbeiführen. Wirkwaren damals beispielsweise in regem Austausch mit der Migros, die versuchte, beim Produzenten in Nordamerika die Situation zu verbessern. Doch auch trotz ihrer Marktmacht leider vergeblich. Die Abnahmemenge in der Schweiz ist einfach zu gering, um etwas zu bewirken. Sie beschäftigen sich schon mehrere Jahre mit der immer noch vorhandenen Problematik.

Was haben Sie schon erreicht? Sehr viel! In der Schweiz ist der Konsum von Pferdefleisch aus Übersee um 60 Prozent gesunken. In Nordamerika werden statt 160000 noch 60000 Pferde geschlachtet. Zudem verhängte die EU einen Importstopp für Mexiko und Brasilien - das ist mit ein Verdienst von uns. Auch haben Supermärkte von Volg bis Denner oder von Coop bis Aldi kein Pferdefleisch aus Übersee mehr im Angebot. Das ist schon ein grosser Erfolg für uns.

Nach Ihren aktuellen Recherchen landet aber nach wie vor Qualfleisch auf unseren Tellern? Ja, leider, und zwar in Restaurants und Metzgereien. Unter anderem ist der VPI - der Verband der Schweizerischen Pferdefleischimporteure - dafür verantwortlich. Er setzt weiterhin auf Importe aus Nord- und Südamerika sowie Australien. Und obwohl wir den VPI regelrecht mit Informationen «beschossen» haben, leiden die Pferde in den Schlachthöfen weiter. Mit welcher Begründung? Der VPI und die Importeure denken nach wie vor, mit dem Handbuch könnte man etwas verändern.

Das Einzige was sich getan hat, sind Investitionen in Sichtschutze. Alle Schlachthöfe in Argentinien, die wir besuchten, sind aussen neu mit grossen Planen und Mauern «blickdicht». Wird denn nicht geprüft? Der VPI hat eigene Auditoren (Externe Prüfer, die Red.), doch denen wird bei ihren Besuchen - die stets angekündigt sind nur die «heile Welt» vorgegaukelt. Wenn wir selbst vor oder nach den Audits vor Ort sind, zeigt sich uns ein ganz anderes Bild.

Nehmen wir das Beispiel Argentinien. Da hat sich nichts geändert, oder? Nein. Ein krankes oder tragendes Pferd hat dort für einen Schlachtpferdehändler weniger Wert, als das Medikament, das es brauchen würde. Also werden sie über den Schlachtungsweg «entsorgt». Zudem hegt der Anteil gestohlener Pferde bei rund 50 Prozent.

Diebstahl ist kein Aufwand und wird mit den mafiosen Strukturen inklusive Polizei und Gesundheitsbehörde noch unterstützt. Recherchen vor Ort werden für uns deshalb immer gefährlicher. Wir selbst können uns nicht mehr zeigen, man kennt uns. Wir arbeiten nun aber mit lokalen Mitarbeitern, die uns mit Bild- und Informationsmaterial versorgen. Wir haben mehr Infos als jemals zuvor.

Wie hat der VPI darauf reagiert? Wir wurden vom Verband angezeigt, dann zu einem Vermittlungsgespräch eingeladen. Dort zeigten wir unsere Beweise und von diesem Moment an haben wir nichts mehr gehört. Beweise? Wie Sie im Erfahrungsbericht von unserer Projektleiterin Sabrina Gurtner (Artikel ab Seite 12) entnehmen können, herrschen nach wie vor unhaltbare Zustände. Wie kann ein VPI dann behaupten, er kriegt das in den Griff? Das ist doch naiv. Ihre grundsätzliche Forderung? Ein genereller Importstopp aus Argentinien, Uruguay, Kanada und Australien.

Es gibt keine andere Lösung! Wenn also im Restaurant auf der Karte beim Pferdefleisch Argentinien als Herkunft steht, ist das immer Qualfleisch? Ja, mit Garantie! Sogar Gammelfleisch. Es gibt total vier Schlachthöfe und alle sind schlimm. Was da angeliefert wird, sind alte Arbeitspferde aus den Slums, Blutstuten, ausgediente Polo-, Rennund Rodeopferde. Letztere kriegen auch Phenylbutazon, das darf in Europa beispielsweise gar nicht in die Nahrungskette gelangen. Also nicht nur aus tierschützerischer, sondern auch aus verbraucherschutzrechtlichen Gründen ist Pferdefleisch aus Südamerika indiskutabel.

Es geht nur darum, Billigfleisch zu produzieren. Wenn man schaut, mit welchen «Rappen-Beträgen» dort das Fleisch eingekauft wird, das kann nicht aufgehen. Anders sieht es beim Rindfleisch aus, da sind die Bedingungen viel besser, besonders bei Weidehaltung in Uruguay. Das kann man nicht vergleichen. Gibt es Pferdefleisch, dass man bedenkenlos konsumieren kann? Ja, möglichst Schweizer Fleisch, im besten Fall noch vom Hof, den man kennt, oder vom Metzger des Vertrauens.

Dort aber immer nachfragen, woher das Fleisch stammt. Und im Restaurant? Wir hatten etüche Gaststätten «gescreent», die wussten zum Teil gar nicht, woher ihr Fleisch stammt. Oder sie verwiesen auf den VPI, von dem sie die Gewissheit erhielten, dass es sich um «sauberes» Fleisch handelt. Aber das ist eine Lüge! Aus welchen Ländern ist der Konsum sonst noch bedenkenlos? Das kann ich als Tierschutzorganisation so nicht beantworten, da käme ich mit einer «Behauptung» in eine Grauzone. Aber grundsätzlich ist es nur dann bedenkenlos, wenn man weiss, woher das Tier stammt.

Handkehrum weiss man, dass Pferde aus Frankreich zum Schlachten nach Polen gefahren werden und dann - in welcher Form, Stichwort Lasagne, auch immer - wieder zurückkommen ... Oder wenn man das Umfeld in Nordamerika kennt, wo es enorm lange Transportwege und regelrechte Mastbetriebe gibt. Das sind keine Rahmenbedingungen, sprich Tierhaltung, die man ethisch vertreten kann.

Aber in der Schweiz hat man ja die besten Mögüchkeiten, den Hof seines Vertrauens zu finden, so perfekt strukturiert wie unser Land ist. Gibt es keine Schweizer Bundesbehörde, die eingreifen könnte? Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV sagt, man sei an die europäischen Standards gebunden. Heisst aus unserer Sicht, die wollen nichts machen. Das BLV könnte sehr wohl Einfluss nehmen, schiebt den Ball aber an die EU weiter. Und die EU selbst? Wir haben die EU-Kommission immer wieder unterrichtet.

Daraufhin hat diese Auditoren nach Argentinien geschickt. Nur schon das ist ein Erfolg, bedenkt man, dass es weltweit nur 23 Auditoren gibt. In diesem Jahr waren sie wieder in Argentinien und haben einen Mängelbericht verfasst. Dieser geht dann an das angeprangerte Land, welches ein halbes Jahr Zeit hat, um Stellung zu nehmen. Allein der formale Ablauf kann vom Auditorenbericht bis zu einem möglichen Importstopp vier bis fünf Jahre dauern.

Was kann ich persönlich als Konsument entscheidend gegen diesen andauernden Missstand beitragen? Wie bereits erwähnt, kein Überseefleisch, möglichst Schweizer Fleisch und dann im besten Fall noch vom Hof, den man kennt, konsumieren. Und das andere was ich persönlich immer wieder sage: Warum so viel Fleisch? Wieso nicht wie früher, sich einfach auf den Sonntagsbraten beschränken? Wir hätten sicherlich generell viel weniger Probleme. Es kann ja auch nicht sein, dass gewisses Importfleisch für den Restaurantbetreiber günstiger zu kaufen ist als Gemüse. Aber ich denke auch, die Schweizer Bevölkerung ist im Grundgedanken «regional einkaufen» schon auf einem guten Weg. Denn «billiger» aus Übersee kann nicht besser sein, das ist ein Irrglaube! «Die zertifizierten Schlachtbetriebe werden regelmässig kontrolliert.

Dabei wurden keine solchen Verfehlungen bemerkt» Der Verband Schweizerischer Pferdefleischimporteure (VPI) gegenüber «10 vor 10» des SRF (16. Juli2020). Statistik Konsum Gesamtvolumen, Herkunft: 9.6% Schweiz 90.4% Ausland Aufteilung Import Ausland Import 2019:2406 Tonnen 47.

0% EU 22.5% Argentinien 18.5 % Kanada 6.3 % Uruguay 5.5 % Australien Quellen: Proviande, Eidgenössische Zollverwaltung Erfahrungsbericht Auf der nachfolgenden Doppelseite schildert TS B-Projektleiterin Sabrina Gurtner ihre Eindrücke, die sie beim Besuch in Argentinien im Frühjahr 2020 erlebt hat." 

(Quelle: Pferde Woche, 2. Dezember 2020)