Tierschutz- und Umweltverbände fordern Verbot für Blutfarmen
Greenwashing-Vorwurf gegen isländisches Pharmaunternehmen Isteka
Berlin, Frankfurt, Freiburg (12.04.2023). Die Tierschutz- und Umweltorganisationen Animal Welfare Foundation (AWF), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), der Deutsche Tierschutzbund und der World Wide Fund for Nature (WWF) kritisieren, dass in isländischen Blutfarmen trächtigen Stuten für die Gewinnung des Fruchtbarkeitshormons PMSG (eCG) Blut abgezapft wird, um die Produktivität in deutschen Schweinezuchtbetrieben zu steigern. Als Greenwashing kritisieren die Verbände die Aussagen des isländischen Pharmaunternehmens Isteka, dass PMSG einen positiven Effekt auf Klima-, Arten- und Tierschutz habe. Derzeit bezieht Isteka rund 120 Tonnen Blut von 90 Blutfarmen mit 4.779 Islandstuten. „PMSG wird als Tierarzneimittel deklariert und ohne wirklichen medizinischen Behandlungsgrund in der industriellen Tierproduktion eingesetzt. Es dient rein wirtschaftlichen Interessen. In Deutschland wird das Hormon in bis zu 30 % der Schweinezuchtbetriebe eingesetzt“, erklären die Verbände.
„PMSG reiht sich ein in die Geschichte von günstigem Fleisch-konsum um jeden Preis.“ WWF Deutschland
Ein Dokumentarfilm der AWF aus dem Jahr 2021 zeigt, wie Stuten systematisch gequält werden bei der Blutentnahme. Sie werden mit Eisenrohren, Stöcken und Balken in die Fixierstände geprügelt und dort in unnatürlicher Haltung mit Stricken fixiert, um in wenigen Minuten rund 15 % ihres Blutes abzuzapfen. Seit diesen Veröffentlichungen steht das Pharmaunternehmen Isteka unter massivem Rechtfertigungsdruck und versucht die Produktion von PMSG zu beschönigen. So behauptet Isteka, dass das Hormon PMSG einen enormen ökologischen Nutzen habe. Isteka Kommunikationsleiter Kristinn Hugason spricht von einem „grünen Molekül“, welches den ökologischen Fußabdruck in der Massentierhaltung kleinhalten soll: „Die Anwendung des Hormons bietet auf globaler Ebene außerordentlich große Vorteile für die Umwelt, fördert darüber hinaus im wahrsten Sinne des Wortes das Tierwohl und die Entwicklung der Tiere, bei denen es zum Einsatz kommt.“
Isteka behauptet zudem, dass der Einsatz von PMSG „in der Schweinezucht zu Futtereinsparungen bei Getreide in einem Volumen von mehr als einer Millionen Tonnen pro Jahr führt“. Und bei verringerter Fruchtbarkeit würden durch mehr benötigte Tiere die Haltungs-, Energie- und Infrastrukturkosten steigen und einen höheren ökologischen Fußabdruck nach sich ziehen.
„Isteka hat sich wohl verrechnet“, so Sabrina Gurtner, AWF-Projektleiterin. „In der industriellen Schweinezucht werden die Muttersauen nur halb so alt wie in der biologischen Landwirtschaft. Bereits mit drei bis vier Jahren werden sie geschlachtet. Um diesen Bedarf auszugleichen müssen entsprechend viele Muttersauen nachgezüchtet werden. Bis zur Geschlechtsreife dauert es sieben bis acht Monate, in denen sie gefüttert und ihre Exkremente entsorgt werden müssen.“ Rolf Sommer, Fachbereichsleiter Landwirtschaft und Landnutzungswandel beim WWF ergänzt: „Die `außerordentlich großen Vorteile für die Umwelt‘ sind theoretische Abstraktionsmodelle. Viel wichtiger wäre es, auf heimische Futtermittel zu setzen anstatt auf Soja aus Entwaldungsgebieten“.
Dass die extreme Steigerung der Fruchtbarkeitsleistung schwere gesundheitliche Konsequenzen für eine Sau hat, bestätigt Esther Müller vom Deutschen Tierschutzbund. „Etwa ein Drittel der Sauen in Deutschland wird aufgrund von zumeist managementbedingten Reproduktionsstörungen frühzeitig geschlachtetoder getötet. Somit stellen Fortpflanzungsprobleme die häufigste Abgangsursache von Sauen in Deutschland dar. Der Einsatz von Hormonen wie PMSG trägt zu großen Teilen dazu bei.“
Der BUND bezeichnet es als unseriös, dem Einsatz von PMSG eine positive Umweltwirkung zuzurechnen. „Der Einsatz von PMSG ist ein grundlegender Baustein, um in vielen Sauenhaltungen Deutschlands das System industrieller Tierhaltung mit deren negativen Auswirkungen auf Klima, Luft, Wasser und Natur aufrecht zu erhalten“, so Matthias Meißner, Abteilungsleiter Biodiversität beim BUND. „Es braucht einen Umbau der Tierhaltung und auskömmliche Preise für Landwirtinnen und Landwirte statt teure Schmiermittel, die das jetzige System am Laufen halten.“
Als aus dem Reich der Fantasie kritisiert der WWF die Aussage des Isteka Geschäftsführers Arnthór Gudlaugsson, dass sich PMSG „auch in der Zucht und beim Schutz anderer Tierarten, zum Beispiel bei Tieren, die auf der Roten Liste stehen oder vom Aussterben bedroht sind, (bewährt).“ Wie der WWF in verschiedenen Studien wiederholt und im Detail dargelegt hat, trägt ein System der industrialisierten Tierhaltung in ganz erheblichem Maße zur Klimakrise und dem Artensterben bei. „Die Treibhausgasemissionen, die auf das Konto unserer Ernährungssysteme gehen, belaufen sich auf ca. ein Drittel der gesamten von Menschen verursachten Emissionen,“ erklärt Rolf Sommer. Die Pharmakonzerne MSD Animal Health und Ceva Santé Animale sind Hauptabnehmer des isländischen PMSG. „Keines ihrer PMSG-Präparate listet Zieltierarten auf, die vom Aussterben bedroht sind. Im Beipackzettel stehen ausschließlich Nutztiere", ergänzt Sabrina Gurtner.
Isteka behauptet, dass das Synchronisieren der Geburten mit PMSG dem Wohlergehen und der Gesundheit der Tiere diene, vor allem der Ferkel. „Sinn der Hormonanwendungen ist vor allem die Leistungssteigerung der Sauen sowie die Synchronisierung von Arbeitsabläufen“, so Esther Müller. „Durch den Einsatz von PMSG werden die Sauen buchstäblich ausgezehrt. Es können unnatürlich große Würfe erreicht werden, was zu Geburtsproblemen mit einem hohen Anteil tot geborener, untergewichtiger oder lebensschwacher Ferkel führt. Das sind die eigentlichen Folgen einer hormonellen Beeinflussung physiologischer Vorgänge.“
„Die ökologische Landwirtschaft und NEULAND zeigen, dass der Einsatz von PMSG nicht benötigt wird, und auch in der konventionellen Sauenhaltung gibt es Betriebe, die auf den Einsatz von PMSG bewusst verzichten“, so Matthias Meißner. Ein Einsatz von Hormonen bei Sauen ohne medizinische Indikation und die Gewinnung von PMSG bei trächtigen Stuten sind tierschutzwidrig. AWF, BUND, Deutscher Tierschutzbund und WWF fordern die Bundesregierung auf, den Import, die Produktion und den Einsatz von PMSG zu verbieten und sich hierfür auch auf EU-Ebene einzusetzen. Das Europäische Parlament hat hierzu bereits im Oktober 2021 eine Resolution erlassen.